Kriminalakte Volvo
Kriminalakte Volvo

 

Wahres und Geschichten rund um Volvo in der DDR

 

Die DDR gilt retrospektiv als automobile Monokultur. Dabei stimmt das nicht: Eine kleine Schicht gönnte sich aus dem Westen durchaus öfter mal was Neues.

 

Für gewisse Leute in der DDR war Volvo die bevorzugte Automarke, und zwar immer dann, wenn es um repräsentative Aufgaben ging. Ostautos waren der ostdeutschen Obrigkeit dann doch irgendwie nicht gut genug: mit Ausnahme der riesigen ZIL, sinngemäß Cadillacs aus Russland mit absolut vergleichbaren Daten. Der gern genutzte Typ 114 zum Beispiel hatte einen Achtzylindermotor mit sieben Liter Hubraum und 300 PS, außerdem einen Wendekreis wie ein Lkw. Kein Zufall, wurden doch in den Lichatschow-Werken sonst Lastwagen gebaut.

Schwedische Autos waren eine für geschulte Politkader gut argumentierbare Lösung: neutrales Land, sozialer Staat, im Zweiten Weltkrieg als Asylland positiv aufgefallen. Von den beiden dortigen Herstellern fiel der kleinere freilich flach. Zwar verströmte der Saab 96 mit seinem Zweitaktmotor und dem abenteuerlichen Freilauf deftiges Ost-Flair, gleichzeitig war Saab aber auch – und vor allem – eine Flugzeugfirma. Noch dazu eine, die hauptsächlich Kriegsflieger herstellte. Somit waren auch die Autos von Saab für den offiziellen Einsatz in der DDR disqualifiziert, noch bevor sich mit GM ein amerikanischer Großkonzern dort maßgeblich einkaufte.

Hinzu kam der Einfluss der sichernden Behörden und insbesondere der Leibwächter der Regierung. Aus verlässlicher Quelle ist daher zu vernehmen, dass die russischen Fahrzeuge schlechthin ungeeignet waren um notwendige Funktechnik oder auch Bordwaffen (Halterung für MP) o.dgl. in geeigneter Weise unterzubringen.

 

Die Wahl fiel also auf Volvo. Es wurden zwischen Göteborg und Ostberlin Verträge geschlossen und auch Fahrzeuge im Einzelabruf geordert. Die DDR bestellte in der Regel die größten Limousinen mit dem größten Motor, immer in gedeckten Farben und gleich büschelweise. Ein gigantischer Apparat an Politkadern, Amtsträgern, verdienten Staatsbürgern, inoffiziellen oder geheimen Mitarbeitern musste versorgt werden, in der DDR wie im Westen. Ein Spion, der im Wartburg oder Trabant durch Bonn knattert, das wäre dann doch aufgefallen. Da verließ man sich lieber auf Volvos aus der 140er-, 160er- und später 240er-Serie, denen man fantasievolle, stetig wechselnde Nummerntafeln und Fahrgestellnummern zukommen ließ, was auf der anderen Seite auch den BRD-Geheimdiensten ihr Tagwerk sicherte. Ebenso mussten kontinuierlich Ersatzteile geordert werden, da die normalen Werkstätten der DDR für die Reparatur / Wartung nicht ausgerüstet waren. 

 

Der Regierungskonvoi selbst bestand aus 164ern, den größten Limousinen, die Volvo baute, dazu extrem rare 245 „Transfer“, nochmals verlängerte Kombis, die Volvo extra für die DDR bis 1984 weiterbaute, während für den Rest der Welt schon 1980 Schluss war. Der Chef selber fuhr freilich 264 TE, und keiner glich dem anderen. TE stand für „Top Executive“, und mehr als die Hälfte aller je gebauten Modelle waren für die DDR bestimmt.

 

Volvo lieferte dabei Rohkarossen zu Bertone nach Italien, dazu gesondert Antrieb und Fahrwerk. Bertone verlängerte die Autos um 70 Zentimeter. Dadurch wurde entstand eine dritte Sitzreihe. Diese Sitze konnten, bei Nichtbenutzung komplett waagerecht geklappt werden.

Es wurde auch ein Landaulet angefertigt, damit Honecker und später Krenz gut herauswinken konnten. Jeder einzelne 264 TE für die DDR war ein handgemachtes Einzelstück. Gut ausgestattet, wenn auch von der Dekadenz eingebauter Minibars und ähnlichem Hollywood-Zinnober keine Rede war. In der Regel gab es in den Volvos nicht einmal Ledersitze. Die bestellten Farben waren mit Dunkelblau und Schwarz immer dieselben. Zu einem späteren Zeitpunkt als sich Qualitätsprobleme bei der Fertigung in Italien häuften, wurde die Herstellung der verlängerten Karosserien zum Spezialisten Nilsson nach Schweden verlagert. 

 

Gern griff Erich Honecker auch zum bequemen Citroën CX in Prestige-Ausstattung, das Beste aus Frankreich. Mit dieser Vorliebe war er nicht allein, er teilte sie mit den diversen Präsidenten der Volksrepublik Kongo (dem ehemaligen Französisch-Kongo), Nicaraguas Diktator Somoza, Panamas Manuel Noriega und natürlich den französischen Präsidenten. Auch als Gastgeschenke an sozialistische Bruderstaaten waren Citroëns sehr beliebt. Die Bande zwischen Frankreich und der DDR waren eng: Als erste westliche Macht empfing Frankreich Erich Honecker, entsandte einen Botschafter in die DDR und eröffnete ein Kulturzentrum in Ostberlin. Lehrer- und Kulturaustausch fanden statt, Reisefreiheit freilich nicht.

 

Für Frankreich erfüllte der Kuschelkurs mit Ostdeutschland gleich zwei Funktionen. Einerseits ließ sich mit der Berlin-Karte Bonn prima ärgern, wenn die gerade nicht so wollten wie Frankreich, andererseits war die DDR ein dankbarer Wirtschaftspartner. Die in den volkseigenen Betrieben hergestellten Teile erfüllten höchste Qualitätsansprüche, im Gegenzug kriegte Ostberlin was Anständiges zum Fahren. Der Deal lief also zum Beispiel so, dass Citroën Präzisionsteile aus Zwickau bezog, vor allem Gelenkwellen, Halbachsen und Federelemente. Ein Teil des Umsatzes (umgerechnet etwa 40 Millionen Euro pro Jahr) wurde in Autos gegengerechnet, der Rest in kostbaren Devisen bezahlt. Dabei war die DDR im Zuliefer- und Zubehörbereich groß. Wagenheber für Volvo und Peugeot kamen lange Zeit aus Treffurt; Standorte, an denen Motorenteile von VW in Lizenz produziert wurden, überlebten auch die Wende.

 

Die Beziehungen zwischen Citroën und der DDR-Macht waren bis zum Schluss intakt, bestellte die SED doch noch 1989 zweitausend Citroën BX, die damalige Mittelklasse der Franzosen. Hie und da verliefen sich auch ganz gewöhnliche Westautos in die DDR, in den frühen Achtzigern etwa ein paar tausend VW Golf I, später auch ein paar Renault 9, Ford Orion und Fiat Uno. Hinter den meisten dieser Westautos steckten politische Deals. Dass Honecker zu Beginn der Achtziger sagenhafte zehntausend Mazda 323 ins Land ließ, sollte für politischen Rückenwind vor seinem Japan-Staatsbesuch 1981 sorgen. Und tatsächlich: Japan verkaufte der DDR unter anderem eine Gießerei auf modernstem Stand der Technik, und – in den Nachrichten prominenter gewürdigt – die Nihon-Universität in Tokio verlieh Erich Honecker die Ehrendoktorwürde.

 

Selbstredend konnten Westautos nicht einfach im Geschäft gekauft werden, nicht einmal dann, wenn man den utopisch hohen Kaufpreis tatsächlich zusammengespart hätte. Westautos kosteten etwa das Dreifache eines Lada, Wartburg oder Trabant, auf die es teilweise Lieferfristen von über einem Jahrzehnt gab. Das Problem abartiger Lieferfristen ließ sich durch Importautos zumindest lindern. Außerdem internationalisierten sie das Straßenbild, was zumindest in Berlin ein bedeutsames Thema war. Wer Glück und Geld hatte – und eine gültige Zuteilung auf einen Viertakt-Pkw –, konnte unter Umständen ein Westauto ergattern, vielleicht sogar ein französisches. Dabei war die Chance auf einen Citroën GSA am größten, wurden zwischen 1979 und 1982 doch insgesamt 5.500 Stück in die DDR gelassen, im Vergleich zu ein paar hundert bauähnlichen Peugeot 305.

 

Die Lösung aller Autoprobleme hieß zumindest für eine Minderheit mit Anteil nehmenden Verwandten in der BRD Genex, kurz für Geschenkdienst und Kleinexporte GmbH. Gegründet und ansässig in Dänemark mit vollem Zugrif auf die Konsumgüterproduktion der DDR, ist sie eine der ältesten Firmen der DDR, und wurde schon 1956 gegründet. Das System diente der Devisenbeschaffung und funktionierte folgendermaßen: Bürger der BRD konnten ihren ostdeutschen Verwandten Geschenke machen. Erstere hatten den Preis in D-Mark zu zahlen, Zweitere bekamen die Geschenke ohne lästige Fragen oder Wartezeiten frei Haus geliefert. Das Angebot der Genex-Kataloge änderte sich jährlich.So wurden Dinge des täglichen Bedarfs, Möbel, Fahrzeuge, Wohnwagen und bis zum Fertigteilhaus, und auch Volvos oder Motorräder angeboten. Ging es um Devisen, erkannte die DDR die Gesetze des Marktes sehr wohl. So erwuchs der Geschenkdienst zusammen mit der Intershop-Kette zu einem der einträglichsten Devisenbringer während der gesamten Existenz der DDR. 

 

Wer keine Verwandten im Westen hatte, war von Genex-Geschenken und somit Westautos ausgeschlossen, es sei denn, man war ein verdienter Mitarbeiter des Systems. Als solcher konnte es passieren, dass man eine ausrangierte Staatskarosse bei der VEB Maschinenhandel erwerben durfte, in der Regel abgelegte 140er- und 160er-Volvos. Wirklich beliebt machte man sich als Professor, Techniker oder Arzt in einem übertragen erworbenen Ex-Staatsauto halt auch nicht. Dazu kam, dass die zum Schluss galoppierende Inflation derartige Luxusgüter nochmals extrem verteuerte und so der Unterschied zwischen Trabi-Warter und Volvo-Käufer noch auffälliger wurde.

 

Ohne Beziehungen ging hier freilich gar nix. Wer Westauto fuhr, war verdächtig. Dabei hatten es die „chosen few“ gar nicht so einfach, ihre Preziosen am Laufen zu halten. Nur dem Erstbesitzer wurden so genannte Ersatzteilsberechtigungsscheine zugeteilt, personengebunden. Die gab natürlich niemand aus der Hand. Das öffnete einerseits dem Schwarzhandel die Schleusen. So wurde durch die Obrigkeit für die beiden Anzeigenblätter der DDR (ND und NZ) verfügt, dass keine Annoncen zu Spekulationszwecken mehr geschaltet werden dürfen. Insgesamt wird das Gesamtvolumen an Westautos in der DDR auf unter 50.000 Stück geschätzt.

 

Gerade diese Knappheit schuf Begehrlichkeit, und die Begehrlichkeit von westlichem Lebensstandard, vor allem Westautos, war es dann schließlich, die als finaler Katalysator für den Zusammenbruch des Systems wirkte. Dabei hatte die DDR in all ihren Jahren für ihre Herrscher eins nicht benötigt, was in ähnlich gearteten Staaten gang und gäbe war, nämlich Panzerlimousinen. Daran hatte nicht einmal das Attentat von Paul Essling zu Silvester 1982 etwas ändern können.

 

Das Geschäft mit der Einfuhr des Volvo 244 DLS, wurde sehr kurzfristig im September 1977 vereinbart, bis die ersten Fahrzeuge bereits zum Jahresende ausgeliefert wurden. .